Stasi_DiaMat_DDR_Fraun (2007)


Ein besonders abschreckendes Beispiel für eine solche Politik der guten Positionierung im globalen Wettkampf um Wohlstand
und Fortschritt ist die DDR. Denn dieser Staat versprach seinen Bürgern in der fernen Zukunft eine gerechte Gesellschaft und
ein gutes Leben, das er in den 40 Jahren seiner Existenz jedoch nie einlösen konnte. Statt dessen etablierte sich der Staat als
Machtapparat, der seine Bürger streng kontrollierte und jede abweichende Äußerung zu gesellschaftlichen Zielen und den Mitteln,
wie diese zu erreichen seien, rigoros unterdrückte. Zur zentralen Institution des Machterhalts wurde der Staatssicherheitsdienst,
der abweichende Meinungen zu erfassen und durch entsprechende Maßnahmen zu unterdrücken versuchte.
So wurde das Leben für selbstständig denkenden DDR-Bürger zur einer Qual, die einerseits darin bestand, die allgegenwärtige
Propaganda ertragen zu müssen und andererseits nicht zum hilflosen Opfer staatlicher Kontrollwut zu werden. Die Schicksale
jener Menschen, die sich dagegen zur Wehr setzten – sei es durch Flucht oder bewussten politischen Widerstand – sind uns
wohl bekannt.

Wie sich diese grundlegende Konstellation auf das Alltagsleben der DDR-Bürger auswirkte erlebte Friedemann Blum selbst
bei einem Besuch in Ost-Berlin. „Ich war mit 16 in Berlin – ein sehr spannendes und bedrohliches Erlebnis. Seitdem hat mich
das DDR-Thema nicht mehr losgelassen. Nur in den eigenen vier Wänden waren alle sie selbst. Wenn sie diese verlassen hatten,
nahmen sie die Rolle des DDR-Bürgers ein, wie er sein sollte.“ Im Internet fand er schließlich das Material, das seinen damaligen
Eindruck bestätigen konnte. Bei seinen Recherchen zur DDR stieß er auf eine Zeitschrift mit dem Titel Das Magazin, welches mit
seinen Sexfotos offenkundig als kommunistische Variante des Playboy konzipiert war. Obwohl sexuelle Lust nicht zum Staatsziel
der Errichtung des Kommunismus passte, erlaubten die Behörden diese Zeitschrift, denn sie gefährdete die Staatsmacht auch nicht.
Als unpolitischer Lebensbereich konnte Sexualität im Gegenteil sogar als Ventil für die bestehende Unzufriedenheit in der Bevölkerung
dienen. So erlaubte der Staatsapparat einen relativ ungezwungenen Umgang mit der Sexualität, woraus sich beispielsweise auch die
weite Verbreitung des FKK-Wesens in der DDR erklären lässt.

Den erotischen Fotos des Playboy und des Magazins ist nun gemeinsam, dass sie einen voyeuristischen Männerblick auf nackte
Frauenkörper pflegen, der im Kontext der DDR-Herrschaft merkwürdig pikant wirkt. Denn Voyeurismus besteht in einer einseitigen
Blickbeziehung zwischen erregtem Beobachter und erregendem Körper, ohne dass es zu einer befreienden Interaktion kommt.
Damit gleicht der sexualisierte Voyeurismus der genannten Männermagazine strukturell den Beobachtungsmodus der Staatssicherheit
bei der Kontrolle ihrer Bürger. Aus dieser Übereinstimmung hat Friedemann Blum die Installation Stasi_Diamat_DDR_Fraun_ entwickelt.
Sie besteht aus einem hochrecheckigen, überdimensionalen Stapel aus Holzpaletten, der an Plattenbauten denken lässt.
An einer Schmalseite platziert der Künstler einen Stuhl, ein Fernglas und einen Kopfhörer.
Benutzt nun der Besucher die originalen Beobachtungsutensilien aus der DDR-Zeit, dann erblickt er auf der gegenüberliegenden
Schmalseite im Inneren der Holzkonstruktion einen Monitor, auf dem eine Art Dia-Schau abläuft. Begleitet von Rockmusik und der
Nationalhymne der DDR sieht er im typischen Ausschnitt eines Fernglases zwei kreisrunde Bilder mit Fotografien der DDR-Realität.
Propagandabilder, Verbotsschilder, Ausweisdokumente, bekannte DDR-Architektur, die Arbeitswelt und Modefotos wechseln sich
mit Bildern von Observierungs- und Strafaktionen der Staatsmacht sowie Nacktfotos aus dem DDR-Männermagazin ab.
So schafft der Künstler ein Fotopanorama des Lebens in der DDR, das ausschließlich aus historischen Fotografien besteht und die
starken Durchdringung des Alltagslebens mit Politik und Propaganda ebenso zeigt wie den männlichen und den politischen
Voyeurismus. Friedemann Blum gelingt damit eine starke und einprägsame Vergegenwärtigung des DDR-Alltags, der die
Verbindung von politischer Kontrolle und Voyeurismus ebenso aufgreift, wie die starke Trennlinie zwischen privater und
öffentlicher Sphäre.

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